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@article{ Rosenthal1992,
 title = {Antisemitismus im lebensgeschichtlichen Kontext: soziale Prozesse der Dehumanisierung und Schuldzuweisung},
 author = {Rosenthal, Gabriele},
 journal = {Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften},
 number = {4},
 pages = {449-479},
 volume = {3},
 year = {1992},
 urn = {https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-59246},
 abstract = {Umfragen zum antisemitischen Einstellungspotential der westdeutschen Bevölkerung wurden bereits 1946 in der amerikanischen Besatzungszone durch die Militärverwaltung, 1949 zum ersten Mal vom Institut für Demoskopie in Allensbach (IfD) und diskontinuierlich - meist ausgelöst durch antisemitische Skandale in der Öffentlichkeit - immer wieder vom IfD oder von Emnid durchgeführt. Die theoretisch anspruchsvollste Studie war das nach Rückkehr von Theodor Adorno, Max Horkheimer, Friedrich Pollock u.a. vom Institut für Sozialforschung in den frühen 50er Jahren durchgeführte "Gruppenexperiment". Die demoskopischen Studien belegen, dass sich der in der Bundesrepublik Deutschland in Befragungen geäußerte manifeste Antisemitismus resistent als ernst zunehmendes soziales Phänomen hält, auch wenn er über die Jahrzehnte hinweg, insbesondere bei Angehörigen jüngerer Jahrgänge, abnahm. So äußerten im Jahre 1987 nach einer repräsentativen Umfrage von Bergmann und Erb immerhin noch 50% der Bevölkerung antisemitische Einstellungen . Die Prozentsätze für die Jahrgänge derjenigen, die den Nationalsozialismus als Erwachsene oder Jugendliche erlebten, liegen dabei noch erheblich höher. Bei der Hitlerjugend-Generation (die Jahrgänge 1923-1932) weisen insgesamt 67% antisemitische Einstellungen auf, und bei den älteren Jahrgänge sind es sogar 91%. Die Einstellungsforschung liefert uns zwar wichtige Hinweise über die demographischen Entwicklungen des Antisemitismus, doch sie ist abgekoppelt vom Handeln der Gesellschaftsmitglieder, ihren Familienbiographien, ihren lebensgeschichtlichen Erfahrungen und ihren Interaktionen mit Juden. Ebenso wie in der sozialwissenschaftlichen Literatur die Tendenz besteht, den Neonazismus als neues und von der nationalsozialistischen Vergangenheit losgelöstes Phänomen zu betrachten, verschließen Umfrage Untersuchungen den Einblick in die Prozesse der intergenerationellen Tradierung eines antisemitischen Habitus und dessen Transformationen. Auch wenn z.B. Bergmann und Erb mit ihren Fragebögen, den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und der Zeit des Nationalsozialismus aufzuzeigen versuchen, können die numerischen Ergebnisse nur durch ihre klassifikatorische Subsumption unter vorgegebene Kriterien und theoretische Konzepte erklärt werden. Der Umfrageforschung fehlt die Möglichkeit, die Wirkungszusammenhänge zwischen Gegenwart und auto- bzw. familienbiographischer Vergangenheit zu rekonstruieren. Außerdem sind manifeste Selbsteinschätzungen von Befragten kaum eine geeignete Quelle, um auf latente und unbewusste antisemitische Deutungs- und Handlungsmuster schließen zu können. Basierend auf Daten von standardisierten Befragungen können Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nur auf der kognitiven Einstellungsebene, losgelöst von Handlungskontexten und der jeweiligen Familiengeschichte der Befragten betrachtet werden. Daraus deduzierte Annahmen über die sozialen Mechanismen der vor und nach 1945 kaum erfolgten Trauerarbeit um die entrechteten, vertriebenen und ermordeten Juden mögen noch so plausibel sein, es fehlt ihnen der empirische Bezug. Wenn wir hingegen beginnen, den Antisemitismus im lebens- und familiengeschichtlichen Kontext seiner Entstehung, Reproduktion und Transformation zu rekonstruieren, wird es möglich werden, sich vom einfachen dualistischen Bild von Gesellschaft und Individuum zu lösen, in dem das Individuum in spezifischen historischen Konstellationen Einstellungen übernimmt, die ihm von der Gesellschaft und seinem Milieu angeboten werden. Statt dessen können wir die Mechanismen der aktiven Ausgestaltung eines antisemitischen Habitus in konkreten Handlungszusammenhängen unter spezifischen lebensgeschichtlichen Konstellationen aufspüren.A stage model for the gradual process of de-humanization of Jews after 1933 is developed by means of a biographical case-study based on interviews with bystanders and persecutors of the Third Reich which are counterposed to interviews with Jews who experienced persecution in Germany and Europe. These stages correspond to the state policy of deprivation of rights and extinction. In the first phase (1933-1935) contacts between Jews and non-Jews decrease. The second phase (1934-1938) starts with the Nuremberg Laws and ends with the November pogrom 1938. The isolation and avoidance of Jews increases. Thirdly, 1938-1945: the persecution of the Jews and mass transports lead to the point, in which Jews are totally de-humanized and they disappear from public awareness, until they appear again as concentration camp prisoners towards the end of the war. In the fourth phase, after the end of the Third Reich, the socially created awareness of the extinction of Jews corresponds to the projection of feelings of guilt onto the Jews. The creatures without identity are turned into 'guilty' Jews.},
 keywords = {soziale Wirklichkeit; Bundesrepublik Deutschland; Jude; German; life career; antisemitism; Nationalsozialismus; social reality; life situation; Federal Republic of Germany; Judenverfolgung; Lebensbedingungen; Drittes Reich; Nazism; Deutscher; Antisemitismus; living conditions; Lebenssituation; Lebenslauf; Jew; persecution of Jews; Third Reich}}