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%T "Den Urgroßvater fressen die Pferde ...": von der Möglichkeit eines individuellen und konflikthaften Umgangs mit dem Familiengedächtnis
%A Gebhardt, Miriam
%J BIOS - Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen
%N 1
%P 93-104
%V 19
%D 2006
%@ 0933-5315
%~ Verlag Barbara Budrich
%> https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-456780
%X Die Autorin geht von der Annahme aus, dass die auf M. Halbwachs zurückzuführende kollektivistische Erbschaft einer Gesamttheorie des sozialen Gedächtnisses aus den 1920er Jahren der heutigen Forschung zum Familiengedächtnis bisweilen einen deterministischen, ja geradezu tyrannischen Beigeschmack verleiht. Unterstellt man im Sinne von Halbwachs auch noch die prinzipielle Unauflösbarkeit der Gedächtnisgemeinschaft Familie, so endet man bei einem despotischen Familiengedächtnis, dem schlussendlich nicht einmal durch Leugnen und Verdrängen zu entkommen ist. Der Zugang zu den diskontinuierlichen, den Rahmen des Familiengedächtnisses sprengenden, die Identität oder das Selbstkonzept der Familie wie des Subjekts der Erinnerung erschütternden Erinnerungen an die Familiengeschichte ist solchermaßen sowohl theoretisch als auch methodisch versperrt. Umgangen werden die Individualisierungstendenzen der Erinnerung, die potentiell eine Verortung der Erinnerung außerhalb des Familiengedächtnisses möglich machen. Um jenen familialen Erinnerungen gerecht zu werden, die das Diktat des Kollektivs reflektieren und sogar zurückweisen, wäre es notwendig, die Chronologie der Herangehensweise umzudrehen, und zwar in der Weise, dass nicht vom Kollektiv her zu fragen ist, das als unausgesprochen ahistorische Bezugsgröße im Raum steht, sondern vom Erinnerungssubjekt her, das seinen lebensgeschichtlichen Erinnerungsbedürfnissen gemäß eine bestimmte Familiengeschichte konstruiert oder verwirft. Anhand der Darstellung von drei Beispielen familialen Erinnerns aus deutsch-jüdischen Familien im frühen 20. Jahrhundert, die diskontinuierlich, kreativ und autonom vom Familiengedächtnis Gebrauch gemacht haben, kommt die Autorin zum Schluss, dass wer sich mit dem Familiengedächtnis beschäftigt, in Versuchung gerät, die kontinuierlichen Seiten überzubetonen und die diskontinuierlichen Elemente unter den Verdacht der Verdrängung zu stellen. Ihrer Meinung nach ist es angebracht, auch diese Aspekte des Familiengedächtnisses zu würdigen. Die Weitergabe der Erinnerungen zwischen den Generationen wird nicht immer im Namen von Identität und Selbstkonsonanz von einem ominösen Familiengeist gesteuert. Gerade an den Widerständen, Widersprüchlichkeiten, an den individuellen Aneignungs- und Ablehnungsweisen erweisen sich die Spielräume und Entwicklungsmöglichkeiten der historischen Subjekte. (ICG)
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%9 Zeitschriftenartikel
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