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%T Der Ethikbetrieb in der Medizin: Korrektur oder Schmiermittel der Kommerzialisierung
%A Kühn, Hagen
%P 33
%V 2006-303
%D 2006
%= 2010-07-02T10:36:00Z
%~ USB Köln
%> https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-113872
%U http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2006/i06-303.pdf
%X "Seit den 80er Jahren haben sich im Gesundheitswesen die Versuche durchgesetzt, das Arztverhalten mit Geldanreizen zu steuern. Die finanziellen Steuerungsinstrumente bauen implizit darauf, dass die Ärzte sich bei ihren Entscheidungen, Empfehlungen, Verschreibungen, Über- und Einweisungen primär von den damit verbundenen einzelwirtschaftlichen Gewinnchancen und -risiken leiten lassen. Damit wurde ein Ökonomisierungsprozess in Gang gesetzt, in dem tendenziell die medizinischen und pflegerischen Entscheidungen, Therapien, Empfehlungen usw. durch das ökonomische Vorteilskalkül überformt werden. Zeitgleich zu dieser Entwicklung hat sich in der Medizin ein professioneller Ethikbetrieb etabliert, der in den 90er Jahren boomartig expandierte. Das Gesundheitswesen wurde um eine weitere Experten- und Interessengruppe aus Philosophen, Moraltheologen und Ökonomen bereichert. In diesem Aufsatz geht es um eine Einschätzung des Ethikbetriebs unter dem Aspekt der Ökonomisierungstendenz, insbesondere der zunehmend berichteten ärztlichen Alltagspraxis, Patienten aus Gründen des Rentabilitätskalküls effektive Leistungen vorzuenthalten, sie in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Risiko weiterzuverlegen, zu meiden oder unnötig zum (lohnenden) 'Fall' zu machen. Die meisten Ärzte geraten hier in einen moralischen Konflikt zwischen der von ihnen erwarteten treuhänderischen Loyalität gegenüber den Patienten und dem wirtschaftlichen Vorteil der Institution. Kann ein Ethikbetrieb überhaupt moralische Normen und Werthaltungen im Gesundheitswesen konstituieren, und wenn ja, in welcher Weise? Die Überzeugung, Moral ließe sich lehren und lernen, liegt nicht zuletzt im Interesse des Ethikbetriebs an sich selbst. Dennoch kommt unter diesem Gesichtspunkt der akademischen Ethik nur eine marginale Rolle zu. Ihr Einfluss ist nur dort gegeben, wo sie der von den Tendenzen der Sozialordnung gewiesenen Richtung folgt und insofern trendverstärkend wirkt. Das ist auch im Hinblick auf die Ökonomisierungstendenz der Fall. Der Kern ihrer Tätigkeit besteht in Begründungen und Legitimationen von Entscheidungen, die vordem ohne den Ethikbetrieb getroffen wurden. Ihre wachsende Präsenz in der Klinik ist Zeichen einer Tendenz zu Abspaltung des Moralischen aus dem klinischen Alltagshandeln und der Verwandlung der Ärzte in (subjektive) 'ethische Laien'. In dem objektiven und strukturellen ärztlichen Interessenkonflikt zwischen monetärem Vorteil und Loyalität gegenüber den Patienten ist der ethische Mainstream bereits Partei, bevor er explizit wertet: strukturelle Konflikte werden meist als moralische Dilemmata interpretiert. Diese werden in einen ökonomischen Bezugsrahmen ('Knappheit') gestellt der zeitlosen Dogmen herrschender Wirtschaftstheorie gestellt. Das implizite Bild vom Patienten legt es nahe, in ihm oder ihr weniger den kranken, sondern den durch selbst schädigendes Krankheitsverhalten und unbegrenzte Ansprüchen auf medizinische Leistungen gekennzeichneten Menschen zu sehen, demgegenüber restriktive und 'rationale' Haltungen angebracht sind." (Autorenreferat)
%X "Since the 1980s attempts to control or influence doctors' behaviour through financial incentives have become generally accepted. Such financial steering instruments rely on the implicit assumption that doctors' decisions, recommendations, prescriptions, referrals to specialists and hospitals are primarily guided by possible individual economic gains and risks. This assumption, in turn, set off a process of economisation tending to overwrite medical decisions, decisions affecting care and nursing, therapies, recommendations etc. by calculations of economic advantage. This development has been accompanied by the emergence of a professional medical ethics experiencing a boom in the 1990s and adding another group of experts and stakeholders to the health care system consisting of philosophers, moral theologists and economists. The essay focuses on an assessment of these ethical activities with special regard to economisation tendencies as increasingly reported from everyday medical practice. Such reports include benefits being withheld from patients due to calculations of profitability, patients being referred to other institutions or avoided depending on the economic risks involved or patients being turned into (profitable) 'cases'. Most physicians are faced with a moral conflict between loyalty to their patients as expected from them and the economic advantages of their respective institutions. Is it possible to constitute moral norms and values in health care by medical ethics at all and if so how can this be done? The conviction that morals can be taught and learnt lies, after all, in the interests of those professionally engaged in ethics. Nevertheless the role played by academic ethics in this context is generally only marginal. It does only prove influential when following and thereby enhancing trends inherent in the social order. This also holds true for economisation tendencies. Ethical activities are primarily concerned with the production of reasons and legitimations for decisions which before their emergence used to be made without them. Their growing presence in medicine indicates a tendency to separate morals from everyday clinical activities turning physicians into (subjective) 'ethical laymen'. Within the objective and structural conflict of interests faced by physicians between financial advantage and loyalty towards patients the ethical mainstream has already taken sides before even giving an explicit value judgment: Structural conflicts are usually interpreted as moral dilemmas. These are then considered within the economic framework ('shortage') of the timeless dogmas of prevailing economic theories. The implicit image of the patient insinuates that instead of seeing him as a sick person he should rather be seen as someone who after having caused his own disease by harmful behaviour is now claiming endless benefits and should therefore receive restrictive and 'rational' treatment." (author's abstract)
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